Dürfen Rettungsauskünfte zur Ausforschung von Demonstranten genutzt werden? DSGVO Art 6; SPG §§ 53, 54; ÄrzteG § 54; SanG § 6; StPO §§ 5, 110, 111, 157
Rechtliche Legitimation der Polizei - Rechtmäßigkeit nach dem Sicherheitspolizeigesetz - Verschwiegenheitspflicht des Gesundheitspersonals - Rechtmäßigkeit nach der Strafprozessordnung - Conclusio
In einer ORF-Sendung „Im Zentrum“ kündigte der Wiener Polizeipräsident Pürstl an, man werde die Daten verletzter Demonstranten des Akademiker-Balles bei der Rettung ausforschen um „einmal zu schauen, welche Beteiligung sie gehabt haben.“ Nach Kritik ruderte ein Polizeisprecher der Wiener Polizei zurück und präzisierte Pürstls Aussage dahingehend, dass man „nur nach einem konkreten Anfangsverdacht“ Auskunft von der Rettung verlangen werde. In einer parlamentarischen Anfrage wurde die Innenministerin zur Stellungnahme aufgefordert.
Rechtliche Legitimation der Polizei
Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem im österreichischen Datenschutzgesetz (DSG) normierten Grundrecht auf Datenschutz bedarf eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten einer gesetzlichen Grundlage. Will die Polizei die Identität von Demonstranten ausforschen, die sich von Rettungskräften versorgen ließen, muss sie sich also auf eine Ermittlungsmaßnahme aus dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG) oder aus der Strafprozessordnung (StPO) stützen (Art 6 DSGVO).
Rechtmäßigkeit nach dem Sicherheitspolizeigesetz
Geht es um die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von Daten durch die Sicherheitspolizei, ist zu beachten, dass das SPG über ein umfassendes Sonderdatenschutzrecht verfügt. Einschlägig ist § 53 Abs 1 SPG, der normiert, in welchen Fällen die Ermittlung und Weiterverarbeitung von Daten durch die Sicherheitspolizei rechtmäßig ist.
Rechtmäßig ist das Ermitteln und Verarbeiten von Daten nach § 53 Abs 1 SPG bloß um Straftaten zu verhindern. So sind in den § 53 Abs 1 Z 1-7 SPG zum Beispiel die Gefahrenerforschung oder die Abwehr gefährlicher Angriffe als zulässige Zwecke genannt. Jedoch ist keiner der Tatbestände des § 53 Abs 1 Z 1-7 SPG auf den vorliegenden Fall anwendbar. Dies ist mit dem präventiven Charakter des SPG zu erklären, das primär auf die Verhinderung von Straftaten abzielt. Dies spiegelt sich auch in den einzelnen Ziffern des § 53 Abs 1 SPG wieder. Sowohl für die Aussage Pürstls, die Polizei verlange Daten von allen von Rettungskräften behandelten Demonstranten, als auch für die Konkretisierung, dass man nur Daten von konkret verdächtigten Demonstranten verlange, gibt es keine Rechtsgrundlage nach dem SPG.
Selbst wenn einer der Tatbestände des § 53 Abs 1 SPG anwendbar wäre und die Polizei personenbezogene Daten durch Einholen von Auskünften ermitteln will, müsste sie darauf hinweisen, dass die Auskunftserteilung freiwillig ist (§ 54 SPG). Sie darf keine Zwangsmittel gebrauchen.
Verschwiegenheitspflicht des Gesundheitspersonals
In diesem Zusammenhang ist auch relevant, ob Ärzte und Sanitäter überhaupt Auskunft geben dürften, da sie nach § 6 Sanitätergesetz (SanG) bzw. § 54 Ärztegesetz (ÄrzteG) einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Zwar gibt es hier eine Ausnahme, wenn die Offenbarung eines Geheimnisses zum Schutz der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist. Bei bloßer Befragung durch die Sicherheitspolizei ist der Sanitäter/Arzt jedoch nicht von der Verschwiegenheitspflicht entbunden. Er darf jedenfalls nicht die Daten der behandelten Demonstranten preisgeben. Andernfalls macht er sich unter Umständen nach § 121 StGB (Strafgesetzbuch) strafbar, wobei es sich um ein Privatanklagedelikt handelt.
Rechtmäßigkeit nach der Strafprozessordnung (StPO)
Weitreichendere Befugnisse hat die Kriminalpolizei nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach der StPO.
Anders als das SPG, das bereits im Vorfeld greifen soll und Straftaten verhindern soll, bietet die StPO Maßnahmen zur Aufklärung von Straftaten und Ausforschung der Täter. Um an die Daten der verletzten Demonstranten zu kommen, steht der Kriminalpolizei die Sicherstellung (§ 110 StPO) zur Verfügung. § 111 Abs. 2 StPO ordnet an, dass wenn auf Datenträgern gespeicherte Informationen sichergestellt werden sollen, jedermann Zugang zu diesen Informationen zu gewähren hat. Die Rettung hat der Polizei also Zugang zu den Daten zu verschaffen oder die Datensätze an diese auszufolgen. Die Sicherstellung bedarf allerdings einer Anordnung durch die Staatsanwaltschaft. Materielle Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Sicherstellung sind der Verdacht einer strafbaren Handlung und die Erforderlichkeit aus Beweisgründen.
Dabei ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der für jede Ermittlungsmaßnahme zur Aufnahme von Beweisen gilt (§ 5 StPO). Die Kriminalpolizei darf nach diesem Grundsatz nur soweit in die Rechte einer Person eingreifen, als dies gesetzlich vorgesehen und zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Jede bewirkte Rechtsgutbeeinträchtigung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen. Gesetzlich eingeräumte Befugnisse sind so auszuüben, dass Rechte und schutzwürdige Interessen von betroffenen Personen gewahrt sind.
Umgelegt auf den vorliegenden Fall ist die Kripo/Staatsanwaltschaft nicht befugt personenbezogene Daten sämtlicher Demonstranten zu verlangen, die sich am Abend des Akademiker-Balles von Rettungskräften behandeln ließen. Dies wäre jedenfalls überschießend, da der massive Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz vieler Menschen vor allem im Hinblick auf das Gewicht der Straftaten nicht verhältnismäßig erscheint. Vielmehr muss die Staatanwaltschaft das Auskunftsbegehren zeitlich, örtlich und personell eingrenzen.
Anders wäre die Lage zu beurteilen, wenn es sich bei den begangenen Straftaten nicht um Sachbeschädigungen, sondern um Delikte gegen Leib und Leben handelt. In diesem Fall könnte die Staatsanwaltschaft wohl das Auskunftsbegehren ausweiten.
Die Rettung hätte die Daten an die Kripo auszufolgen. Sie könnte dies nicht verweigern und sich dabei auf die im Sanitätergesetz oder Ärztegesetz normierte Verschwiegenheitspflicht stützen. Der Arzt oder Sanitäter hat kein Aussageverweigerungsrecht im Strafprozess. Dieses gilt nur für bestimmte Fachärzte (§ 157 Abs. 1 Z 3 StPO). Daraus folgt, dass Unterlagen oder auf Datenträgern gespeicherte Information sichergestellt und beschlagnahmt werden dürfen, da der Umgehungsschutz nach § 157 Abs. 2 StPO nicht greift.
Conclusio
Fakt ist, dass die Aussage Pürstls in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt. Die Polizei hat keine Legitimation Daten aller Demonstranten anzufordern, die sich an diesem Abend von der Rettung versorgen ließen. Durch das spätere Zurückrudern und die Konkretisierung der Aussage begibt sich die Polizei wieder in den Bereich der Legalität, jedoch sind einem Auskunftsverlangen auch nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtliche Grenzen gesetzt.
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